Ein Akkord in Blau und Rot zu Ehren Mariens

St. Marien | Wortmannstraße 1, 42107 Wuppertal | Werner Eckgold | 1964

Von Kirsten Heusgen

Im 19. Jh. gehörte Elberfeld vor allem dank seiner Textilindustrie zu den höchstindustrialisierten Städten Deutschlands. Die Industrialisierung zog nicht nur Wohlstand und Infrastruktur mit sich, sondern auch ein enormes Bevölkerungswachstum. In den 1880er Jahren wuchs die Stadt rasant an und überschritt 1885 die 100.000 Einwohnerzahl. Von da an konnte sich Elberfeld Großstadt nennen. Dieses bedeutete auch einen Ansturm auf die Kirchen, neue Gemeindegründungen und -ausgliederungen erfolgten. Ende des 19. Jh. wurden die Kirchen in Elberfeld viel zu eng, sodass die Laurentius-Gemeinde im Jahr 1882 beschloss den Bau zweier neuer Kirchen zu starten: die Herz-Jesu-Kirche in der Nordstadt – auch der Nordstadt-Dom genannt – und der Marienkirche am Hang des Hardtbergs im Osten Elberfelds, deren leuchtende Glasfenster des Barmener Glasmalers Werner Eckgold (1915-1998) durch klare Farb- und Formstrukturen den ‚Geist‘ der frühen 1960er-Jahre lebendig halten.

Die katholische Kirche St. Marien wurde 1884/86 mit gelbem Backstein in spätromanischen Formen errichtet und beherrscht durch ihre Lage am Fuße der Hardt den nördlichen Innenstadtbereich Elberfelds. Die Kirche ist geprägt durch die baukastenartige Verwendung einzelner spätromanischer und gotischer Architekturteile. Als Grundform dient die dreischiffige Basilika mit einem einschiffigem Querarm und einem fast direkt an die Vierung anschließenden, halbrunden Chor sowie einem Westwerk als Zweiturmanlage. Dem westlichen Turmpaar stand ursprünglich ein oktogonaler Vierungsturm gegenüber.

Die Architektur einer Kirche findet erst ihre Vollendung durch die Glasmalerei im Inneren. Auch wenn keine Kirche ohne Glasfenster funktioniert, wissen wir leider über die Originalausstattung der St. Marienkirche so gut wie gar nichts, denn alle Fenster wurden nach dem 2. Weltkrieg erneuert. Ob die Fenster – wie der Dachstuhl der Kirche – bei einem Bombenangriff im 2. Weltkrieg am 23. Juni 1943 vollständig zerstört wurden, ist zwar anzunehmen, weitere Recherchen dazu sind jedoch notwendig. Ein Eindruck der originalen Fenster kann ein Besuch der Herz-Jesu-Kirche vermitteln, denn hier haben sich im Chor drei prachtvolle historische Fenster von 1886 – ausgeführt von der Fa. Schneiders und Schmolz – erhalten.

Bei dem Wiederaufbau der St.-Marien-Kirche entschied man sich für Vereinfachungen – sowohl bei der Architektur wie auch bei den Glasfenstern. Auf den Vierungsturm wurde verzichtet und alle Dachkonstruktionen erfolgten flacher, wodurch ein etwas irritierender und gedrungener Gesamteindruck entsteht.
Die trotz der Vereinfachungen immer noch komplexe Architektur steht nun im Kontrast zu der klaren und fast schon schlichten Gestaltung im Inneren. Der Kircheninnenraum wird durch helle Farben und eine sehr reduzierte Ornamentik geprägt, wobei die länglichen Glasfenster der Seitenschiffe die Hauptlichtquelle darstellen. Sie erzeugen durch ihre reduzierte geometrische Formensprache aus hellgrauem Glas eine diffuse Lichtstimmung und verschließen den Blick nach Draußen. Die Glasfenster von Werner Eckgold aus dem Jahre 1964 setzten in den Primärfarben Rot und Blau hier eindrückliche Akzente: die drei Rundwände der Kirche (zwei Kapellen innerhalb des Westwerks und die Apsis des Mittelchors, die den Altar umschließt) sind mit insgesamt 28 farbintensiven Glasmalereien ausgestattet.

Das charakteristische dieser Licht- und Farbgestaltung ist die Expressivität der Farbe sowie die abstrakte, aber dennoch harmonische Formensprache. Die fünf eindrücklichsten Glasmalereien befinden sich in den Rundbogenfenstern der Apsis. Die Glasmalerei ist auch hier abstrakt-graphisch gehalten und stellt jeweils eine Episode aus dem Leben Mariens dar. Auf einem geometrischen Grund ist zentral eine Rechteckform platziert, die von einem schmalen Band aus weißem Glas gerahmt ist. Die Farbigkeit der Rechteckformen alterniert auf hellgrauem Grund zwischen kräftigen Rot- und Blautönen, was bezüglich der Farbwahrnehmung einen Kalt-Warm-Kontrast erzeugen kann. Die Form der einzelnen Glaselemente, die durch Bleiruten miteinander verbunden sind, entspricht Variationen des Rechtecks, das durch leichte Verzerrungen auch Trapez- und Rhombenformen bildet. Vereinzelt finden sich auch kleine Fünfecke und winzige Kreisformen, die insgesamt eine belebte Gitter- oder Netzstruktur erzeugen. Diese Flächengestaltung bildet den Hintergrund für die Erzählsequenz, die in den Medaillons zum Ausdruck kommt. Diese sind im unteren Bereich, leicht aus der Mittelachse versetzt, angeordnet. Auf hellbraunem Grund (ocker) sind fünf bedeutsame Szenen aus dem Leben Mariens dargestellt, die als blaugewandete Figur eindeutig zu erkennen ist: links startet der Zyklus mit der Heimsuchung gefolgt von der Mariens Verkündigung/ Empfängnis (mit dem Erzengel Gabriel und dem Heiligen Geist als Taube) im zweiten Glasbild. Die Christi Geburt nimmt die zentrale Position in der Mittelachse des Gebäudes ein. Das vierte Glasbild zeigt Maria unter dem Kreuz Jesu um abschließend auf dem fünften Glasbild in den Himmel aufgenommen zu werden.

Die figurale Darstellung ist auf das wesentliche reduziert und dennoch sehr empfindsam umgesetzt. Die Körpersprache Mariens mit ausgebreiteten, empfangenden und tröstenden Armbewegungen vermittelt eine Sanftheit und innere Ruhe. Die einzelnen Figuren sind aus nur wenigen, einfarbigen Glasstücken zusammengesetzt, die Zeichnung und Formgebung sind daher sehr abstrahiert, in der Gesamtkomposition aber ausgewogen. Mit dieser stark vereinfachten – fast schon plakativen – Bildsprache, einer klaren Zeichnung und dem konzentrierten Farbeisatz gelingt es Eckgold meisterhaft, komplexe Inhalte unmittelbar und emotional darzustellen. Dies stellte sicher, dass für das ‚Lesen‘ und Verstehen der Bilder kein großes Bibelwissen und nur eine geringe Vertrautheit mit der christlichen Ikonographie notwendig war.

Das entspricht ganz dem Stil der späten 1950er und frühen 1960er Jahre, die wir heute noch in vielen Kirchen antreffen können (beispielsweise die Glasmalereien der Benediktiner-Schwester Erentrud Trost oder Hannes Mannekes, Walter Klocke, Wilhelm de Graff, Walter Benner und Rudolf Krüger-Ohrbeck).

Daher stellt sich die Frage nach der Ausbildung und künstlerischen Verortung Werner Eckgolds, über die leider noch wenig bekannt ist. 1915 geboren studierte Eckgold um 1940 an der Kunstgewerbeschule Barmen nachdem er eine Ausbildung als Glasmaler bereits absolviert hatte. Wichtige Lehrer waren für ihn Arnold Dallmann, Otto Schulze jun., Edmund Krause und Ludwig Lindner. Einen tiefen Eindruck haben vermutlich auch die sogenannten Malermönche der Klosterabtei Maria Laach bei ihm hinterlassen. Von 1960-1981 war Eckgold als Kunsterzieher im Schuldienst tätig und realisierte zahlreiche Kirchenfenster neben Wuppertal auch in Neuss, Düsseldorf und Köln, die eine Wiederentdeckung des Glasmalers Werner Eckgold in neuem Lichte lohnen.